Neue Nationalgalerie: Chipperfield macht auf Mies

Es ist Berlins quadratische Version des MoMA, kleiner aber zumindest äußerlich viel ansehnlicher. Bevor die Neue Nationalgalerie für einige Jahre hinter Bauplanen verschwindet, gibt es mit Stöcken und Steinen noch eine bemerkenswerte Ausstellung, die nicht nur Ode an ein einzigartiges Bauwerk und seinen Schöpfer sein will.

Ab Januar kommenden Jahres wird die Neue Nationalgalerie denkmalgerecht saniert. Der Museumspavillon im Kulturforum an der Potsdamer Straße gilt als einer der herausragenden Bauten der „Klassischen Moderne“. Entstanden ist das quadratische Gebäude nach Plänen des deutsch-amerikanischen Architekten Ludwig Mies von der Rohe (1886 – 1869), der als einer der bedeutendsten Vertreter dieses Stils gilt.

Gleich einem antiken Podiumstempel thront die Haupthalle der Neuen Nationalgalerie auf einer erhöhten, rund 100 mal 100 Meter großen Plattform aus Granit. In dem steinernen Sockel ist das Untergeschoss des Museums untergebracht. Darüber verkörpert die aus Glas und Stahl errichtete Haupthalle auf beeindruckende Weise Vision Mies von der Rohes Vision von räumlicher Freiheit und grenzenloser Variabilität: abgesehen von Treppen ins Untergeschoss und zwei Versorgungscubes (Heizung, Belüftung, Wasser) ist der rundherum verglaste Ausstellungsraum völlig frei von Strukturen und Stützen. Auf der riesigen, rund 2.500 Quadratmeter großen Fläche lassen sich Ausstellungen losgelöst von jedweden räumlichen Zwängen optimal arrangieren. Die Transparenz und Monumentalität dieses einzigartigen Raums unterstreichen die Wirkung der ausgestellten Werke.

Möglich ist das alles nur dank Mies von der Rohes genialer Tragekonstruktion für das 64 Meter im Quadrat umfassende Dach. Es scheint frei zu schweben. Tatsächlich ruht die stählerne Abdeckung auf lediglich acht außenliegenden Stützen, je zwei davon auf jeder Seite des Gebäudes. Das filigran wirkende Pfeileroktett ist ebenfalls aus Stahl gefertigt.

David Chipperfield: Neue Nationalgalerie, Ansicht von der Potsdamer Straße aus, 1968. Foto: Reinhard Friedrich/Archiv Nationalgalerie, Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin
David Chipperfield: Neue Nationalgalerie, Ansicht von der Potsdamer Straße aus, 1968. Foto: Reinhard Friedrich/Archiv Nationalgalerie, Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin

Glas-Saal mutiert zur Säulenhalle

Fast 50 Jahre nach seiner Eröffnung schließt die Neue Nationalgalerie nun für einige Jahre Ihre Pforten. Das Gebäude muss umfassend saniert werden. Mit der Planung und Durchführung der Arbeiten ist das Büro des britischen Star-Architekten David Chipperfield betraut, das auch eine Dependance in Berlin unterhält. Bevor es losgeht, haben sich Chipperfield und seine Mannen noch etwas ausgedacht für die Neue Nationalgalerie: eine Art Abschiedsvorstellung für die Berliner, Reminiszenz an ihren Schöpfer und Vorspiel für die Bauarbeiten zugleich.

Mit einem Raster aus Baumstämmen verwandelt Chipperfield den gläsernen Hauptsaal des Museums für drei Monate in eine Säulenhalle. Zwölf Dutzend Fichtenstämme werden dazu in exakten Abständen im Inneren der Haupthalle aufgerichtet. Mit Blick auf die Sanierungsarbeiten scheint dieser Wald aus hölzernen Stützen Mies von der Rohes stählerne Träger fürsorglich entlasten zu wollen.

David Chipperfield: Sticks and Stones, eine Intervention. Installationsansicht. Foto: David von Becker David Chipperfield:
David Chipperfield: Sticks and Stones, eine Intervention. Installationsansicht. Foto: David von Becker

Stöcke und Steine

„Sticks and Stones, eine Intervention“ hat Chipperfield seine Schöpfung passenderweise getauft. Eine Name der verbindet, Materialen und Tragwerke zum Beispiel, Boden, Mauern und Dach. Und der Platz lässt für vielfältige Interpretationen. Die Installation ist für jedermann zugänglich und begehbar, vorausgesetzt man bezahlt den fälligen Eintritt. Zwischen den entrindeten Vollpfosten eröffnet sich den Besuchern ein besonderes Raumerlebnis mit Luft für unterschiedlichste Wahrnehmungen und Gedankenspiele.

Schließlich gibt es auch noch eine kleine „Lichtung“ inmitten des Chipperfieldschen Hains. Hier werden bis Ende des Jahres verschiedene
architekturbezogene Veranstaltungen stattfinden . Den Anfang macht vom 30. Oktober bis 1. November das „Festival of Future Nows“. Es wird veranstaltet von der Neuen Nationalgalerie in Kooperation mit – Nachtigall, ick hör dir tapsen – dem „Institut für Raumexperimente“ der Universität der Künste Berlin (UDK).

Selbst erleben!

Chipperfields „Steine und Stöcke“ sind jedenfalls höchst sehenswert – finde jedenfalls ich. Wer es mit eigenen Sinnen erleben will: die Neue Nationalgalerie ist noch bis zum 31. Dezember 2014 jeweils dienstags bis freitags von 10:00 – 18:00 Uhr bzw. samstags und sonntags von 11:00 – 18:00 Uhr geöffnet. Regelmäßig werden Führungen angeboten, die Interessierten die erzählenswerte Baugeschichte und Sanierungsplanung dieses außergewöhnlichen Museumsbaus im Herzen Berlins näherbringen. Die fachkundige Begleitung kostet übrigens nichts extra. Allerdings sind die Kapazitäten begrenzt. Verfügbare Termine kann man immer wieder mal auf der Website der Neuen Nationalgalerie finden, regelmäßiges Nachschauen lohnt sich.

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