Olympia, Soldaten und der Zahn der Zeit

Hier wurde das Vorwort für Sportlegenden geschrieben. Brauner Darstellungstrieb, deutsche Wehrmacht, Rote Armee und jahrzehntelanger Leerstand haben Bauwerke und Landschaft geprägt. Eine sommerliche Spurensuche auf dem Areal des einstigen Olympischen Dorfs von 1936.

Die Eintrittspforte: Ein schlichtes von Maschendrahtzäunen eingefasstes Gatter neben der Wendeschleife des Linienbusses in der Elstaler Eulenspiegelsiedlung, flankiert von einer dunklen Splitterschutzzelle aus dem 2. Weltkrieg. Der erste Blick dahinter: Ein vernachlässigter Sportplatz mit stoppeligem Rasen und verrostetem Torgestänge. Ein paar Baracken, deren Baufälligkeit trotz der Entfernung sofort ins Auge sticht. Ein größeres Gebäude mit leuchtend rotem Dach. Ansonsten viel, viel Grün.

Erst wenn man dann herumstreift auf dem Gelände, sich einlässt auf Gebäude und Landschaft, offenbart sich, welch geschichtsträchtiger Ort dies ist. Hier wurde das Vorwort für Sportlegenden geschrieben. Hier haben nationalsozialistischer Geltungs- und Aufrüstungsdrang, sowjetische Besatzer und jene orientierungslose Leere der Nachwendezeit Bauwerke und Panorama geprägt, ihre Spuren hinterlassen, teils vermischt, verwischt, überlagert oder wiederentdeckt. Ein sommerlicher Rundgang mit fotografischer Fährtensuche auf dem Areal des einstigen Olympischen Dorfs von 1936.

Kommandantenhaus: Bau- und Hausherr des Olympischen Dorfes in Eltsal war die deutsche Wehrmacht. Während der Olympischen Spiele schwang Oberst Werner Freiherr von und zu Gilsa (1889 – 1945) als Dorfkommandant das Zepter im Sportlerdorf. Er residierte in diesem östlich des Sportplatz gelegenen und eher an ein repräsentatives Landhaus erinnernden Gebäude. Während der Nutzung des Geländes durch die Rote Armee war in dem Gebäude ein Kindergarten für die Kinder der Offiziersfamilien untergebracht.

Sporthalle: Ein herbstlich anmutendes Spektrum von Gelb- und Brauntönen prägt die große Fensterfront der Sporthalle im ehemaligen Olympischen Dorf in Elstal. Durch einige klare Scheiben lassen sich Fragmente des direkt an die Halle angrenzenden Sportplatzes erblicken. Während der Spiele 1936 waren die Athleten von den nach damaligen Maßstäben hochmodernen Sport- und Trainingsstätten im Olympischen Dorf begeistert.

Panorama: Blick über den Sportplatz, auf dem der Megastar der Spiele Jesse Owens seine dann mit vierfachem Gold belohnten Sprints und Sprünge übte, auf Unterkünfte für die Athleten und das eindrucksvolle „Speisehaus der Nationen“, in dem die Sportler aus aller Herren Länder gemäß ihrer landestypischen Essgewohnheiten verpflegt wurden.

Zeltdach: Der nördliche Kopfbau des „Speisehauses der Nationen“ überragt mit seinem auffälligen Dach die maroden Unterkünfte, in denen während der Olympiade 1936 die US-Mannschaft logierte.

„Haus Bautzen“: Die Wohnhäuser für die Sportler waren nach deutschen Städten benannt. Sie waren zumeist einstöckig und boten standardmäßig Platz für 22 Athleten in Doppelzimmern. Die Gebäude verfügten neben Dusche und WC auch über einen großen Gemeinschaftsraum, dessen Flügeltüren sich zu einer Terrasse hin öffneten. Viele dieser Bauten gibt es heute nicht mehr. Vom „Haus Bautzen“, in dem während der Spiele 1936 US-Amerikaner residierten, stehen wenigstens noch die Grundmauern.

Sportlerheime: In den Häusern (v.l.n.r.) „Dessau“, „Dresden“, „Schandau“ und „Leipzig“ wohnten ebenfalls Mitglieder des US-Teams. Insgesamt gab es 135 dieser massiven, eingeschossigen Ziegelbauten sowie fünf zweigeschossige Wohnhäuser im Olympischen Dorf. Für die Nachnutzung als Kaserne waren die Häuser gleich mit Zentralheizung und zum Teil sogar mit Luftschutzkellern ausgestattet.

Terrassenbogen: Verrammelte Fenster und Türen ziehen sich wie Narben über die schwungvolle Ostfassade des „Speisehauses der Nationen“. Sie nehmen dem Hauptgebäude des Olympischen Dorfes viel von seiner ursprünglich so transparent und leicht wirkenden Ästhetik. Wohl um Modernität und Weltoffenheit zu demonstrieren, hatte Hitlers Olympia-Baumeister Werner March beim Design des äußeren Erscheinungsbildes des wichtigsten Gebäudes im Olympischen Dorf offenbar ziemlich freie Hand. E setzte bei diesem Bau auch starke modernistische Akzente, die sonst kaum dem braunen Gusto entsprachen. Was die Funktionalität anging, hatten die Architekten Befehle der Militärs einzuhalten: nach den Spielen sollte das Speisehaus problemlos zum Lazarett mutieren.

Südliche Nahtstelle: Dieser quadratische Kopfbau verknüpft wie sein nördliches Pendant den Speise- mit dem Servicetrakt des „Speisehauses der Nationen“.

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Il Ristorante: Im Erdgeschoss löffelte das italienische Olympiateam seine Pasta. Für 150 Personen ausgelegt, war die italienische Kantine einer der größten Säle im „Speisehauses der Nationen“. Vier Jahrzehnte später verdrückten hier sowjetische Armeesportler ihre Kraftnahrung.

Ellipse: Der Blick vom hofseitigen Balkon des Speisetraktes auf den Innenhof und den Westflügel offenbart die elliptische Grundform des „Speisehauses der Nationen“. Rechts im Bildhintergrund befindet sich das ehemalige Heiz- und Waschhaus, in dem u.a. die Anlagen für Heizung und Warmwasseraufbereitung sowie die Wäscherei untergebracht waren.

Internationale Küche: Im ersten Obergeschoss des „Speisehauses der Nationen“ lagen einst die Küchen und Speiseräume für die Mannschaften aus Belgien (mit 120 Sitzplätzen) und Island (mit 12 Sitzplätzen).

Heliotherapie: Alle Speisesäle lagen im äußeren Ring des Speisetraktes. Gen Osten ausgerichtet, öffneten sie sich zu großen Terrassen und Balkonen. Dabei hatten die Architekten bei der Planung gar nicht die Sonnenanbeter unter den Olympioniken im Sinn gehabt. Vielmehr war das „Speisehaus der Nationen“ von Anfang an als Militärkrankenhaus konzipiert. Die großen Terrassen- und Balkonflächen wie hier im Dachgeschoss sollten in erster Linie dazu dienen, die Genesung der Patienten durch viel Sonne und frische Luft zu unterstützen. Die Türen zu den Terrassen waren überall im Gebäude gleich so dimensioniert, dass die Patienten mitsamt Krankenbett hinausgeschoben werden konnten.

Küchenbalkon: Die direkt an die Speisesäle anschließenden Küchen öffneten sich dagegen zum schmalen Terrassenband auf der Hofseite. Beim Küchen- und Restaurantpersonal waren diese „Küchenbalkone“ äußerst beliebt, boten Sie doch die Möglichkeit, dem Küchenmief für eine paar Momente zu entfliehen oder in einiger ruhigeren Minute der Tabaksucht zu frönen.

Flucht: Der Ostflügel des „Speisehauses der Nationen“ war ursprünglich flurlos angelegt, die Speisesäle und die jeweils zugeordneten Küchen waren direkt über die Treppenhäuser zugänglich. Die endlosen gebogenen Gänge mit den beiderseits flankierenden Krankenzimmern entstanden erst nach der Olympiade beim Umbau für die Nachnutzung als „Olympia-Lazarett“ der deutschen Wehrmacht. Teilweise wieder neu aufgeteilt wurde der Innenraum nach der Übernahme des Gebäudes durch den Sportclub der Roten Armee Anfang der 1970er Jahre. Sowjetische Hochleistungssportler trainierten seitdem in dem Gebäude und den angrenzenden Sportanlagen für internationale Meisterschaften und diverse Olympiaden.

Rahmenbedingungen: Wieviele dieser hölzernen Fenster im Rahmen den anstehenden Sanierungsmaßnahmen noch einmal aufgearbeitet werden können? Derzeit gammeln sie noch in einem Raum im obersten Stockwerk des seit einem Vierteljahrhundert leerstehenden Gebäudes vor sich hin.

Militante Sprüche: Der Andachts- und Gebetsraum des „Olympia-Lazaretts“ ist mit ausgewählten „wehrkonformen“ Bibelzitaten verziert. Zu den bei notdürftigen Sanierungsmaßnahmen in den späten 1990ern freigelegten Inschriften gehören u.a.: „„Niemand hat größere Liebe denn die, dass er sein Leben läßt für seine Freunde“ (Johannes 15:13), „„Und so jemand kämpfet, wird er doch nicht gekrönet, er kämpfe denn recht!““ (Timotheus 2:15) und „„Wenn ein starker Gewappneter seinen Palast bewahret, so bleibt das Seine mit Frieden.““ (Lukas 11:21).

Im Sommer 1936 genossen es die Athleten, sich auf einer der riesigen Terrassen- und Balkone, die von jedem Esszimmer im „Speisehauses der Nationen“ direkt zugänglich waren, zu entspannen. Doch die Sonnenflächen



Relikte: Blick vom obersten Stockwerk des „Speisehauses der Nationen“ auf die noch erhaltenen Häuser „Dessau“, „Dresden“, „Schandau“, „Zwickau“ „Leipzig“ und „Freiburg“ (v.l.n.r.). Im Hintergrund leuchtet das neue Dach der historischen Schwimmhalle in frischem Rot.

Tunnelblick: Die Durchfahrt im Westflügel des „Speisehauses der Nationen“ war sozusagen der Lieferanteneingang zum „Speisehaus der Nationen“. Lebensmittel und andere Waren konnten so direkt im Innenhof des Komplexes ausgeladen und verteilt werden.

Als die in Elstal stationierten sowjetischen Offiziere ihre Familien nachholten, wurden die alten Sportlerunterkünfte schnell zu eng. Viele der ehemaligen Sportlerunterkünfte mussten in den 1960er und 1980er Jahren Plattenbauten aus dem DDR-Wohnungsbauprogramm weichen, um den dringend benötigen Wohnraum zu schaffen. Heute stehen noch 14 dieser „Platten“ auf dem Areal des Olympischen Dorfes.

Kaffeesatz: Zentraler Treffpunkt der Rotarmisten war das russische Café. Der sozialistische Vergnüngtempel war rundum verglast. Das einstöckige Gebäude stand noch nach dem Abzug der Soldaten im Jahr 1992, wurde später jedoch abgerissen, nur noch diese kümmerlichen Reste zeugen von seiner Existenz.

Hindenburghaus: Der großer, mehrflügelige Gebäudekomplex im Süden des Olympischen Dorfs wurde während der Olympiade 1936 vielfältig genutzt. Es gab dort Trainings- und Verwaltungsräume, Büros der internationalen Sportverbände und einen Raum zum Wiegen für die Schwerathleten. Zudem verfügte der Bau über mehrere Säle für Gottesdienste und sonstige Veranstaltungen. Der riesige Mehrzwecksaal im ersten Obergeschoss bot Platz für rund 1.000 Menschen. Hier gab es für die Sportler ein abendliches Unterhaltungsprogramm mit Berichten von den Spielen, Spiel- und Sportfilme und Konzerten. Auf für eine Weltpremiere war Platz im Hindenburghaus: in einer Fernsehstube konnten Liveübertragungen einzelner Wettkämpfe verfolgt werden. Nach den Olympischen Spiele installierte die Wehrmacht im Hindenburghaus eine Infanterieschule. Die Rote Armee schließlich nutzte das Gebäude mit seinen Sälen als „Haus der Offiziere“ schließlich als Versammlungs- und Veranstaltungsort.

Propaganda: „Möge die Wehrmacht ihren Weg immer kraftvoll und in Ehren gehen als Bürge einer starken deutschen Zukunft““ lautet die Inschrift auf dem martialischen Relief des Bildhausers Walther von Ruckteschell in der Ehrenhalle des Hindenburghauses. Die militaristischen Phrasen riefen unter den Sportlern aus aller Herren Länder – vorsichtig gesagt – ein ziemlich geteiltes Echo hervor.

Lenin: – Das Wandbild mit der richtungsweisenden Sowjetikone ist im großen Saal des Hindenburghauses zu bewundern. Das rote Abbild ist jedoch kein Relikt der Armee gleicher Couleur, sondern wurde in den späten 1990ern bei Dreharbeiten für irgendeinen postkommunistischen Streifen auf den Putz gepinselt.

Waldsee: Das Olympische Dorf von 1936 war eingebettet in eine aufwändig gestaltete Park-und Waldlandschaft. In einer natürlichen und dann künstlich erweiterten Senke des Areals wurde der Waldsee angelegt worden. Dessen besondere Attraktion war eine am östlichen Ufer errichtete Blockhütte mit finnischer Sauna. Von dem Dampfbad sind heute nur noch Spuren des Fundaments zu finden. Auch der Waldsee ist verschwunden, nur dichter Schilfbewuchs deutet hie und da noch auf seine frühere Existenz hin.

Schwimmhalle: Marodierende Vandalen steckten 1993 die historische Schwimmhalle in Brand. Sie trug schwere Schäden davon, war einsturzgefährdet. Erst ein Jahrzehnt später erfolgte die Rekonstruktion des zerstörten Daches und die Sanierung der Fassaden.

Pool: Bröckelnder Putz, fehlende Fliesen: Das Innere des Schwimmhalle wartet hingegen noch immer auf eine entsprechende Überholung. Die zum Sportplatz ausgerichtete Glasfront ließ sich (und lässt sich jetzt wieder) auf Knopfdruck hochziehen. Nach ein paar Runden auf dem Sportplatz konnten die Athleten direkt in die offene Schwimmhalle laufen und einige Bahnen schwimmen.

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  • Leider bewegen sich die Schritte zum Sanieren der gesamten Anlage nur sehr langsam voran. Endlose Diskussionen bringen unnötige Verzögerungen mit sich. Das Olympiastadion wird von 1934 bis 1936 anlässlich der Olympischen Sommerspiele 1936 mit einem Fassungsvermögen von 100.000 Zuschauern nach Plänen des Architekten Werner March erbaut. Formal orientiert sich das Stadion mit seinen klaren geometrischen Grundformen an antiken Sportstätten. Da es zur Hälfte ein Erdstadion ist – sich also nur der Oberring über Bodenniveau befindet – wirkt es nicht ganz so mächtig wie andere Bauten aus der Zeit des Nationalsozialismus. Wie man sieht, ist Papier geduldig. Einem breiteren Publikum sind nur das Olympiastadion, die Waldbühne und das Schwimmbad bekannt, das in letzter Minute vor dem Zusammenbruch bewahrt, teilsaniert und 2016 wieder eröffnet wurde. Knapp drei Dutzend kleine Bauten, die nach 1945 errichtet wurden, sollen abgerissen werden. Der Sanierungsbedarf der übrigen Gebäude, die teilweise unter Denkmalschutz stehen, reicht nach Darstellung der Sportverwaltung von der Dachsanierung über den Brandschutz und die Erneuerung von Fenstern und Türen bis zur Abdichtung der Kellerwände.

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