Friedrich der Zweite war es leid. Da hatte er sich vor den Toren Potsdams am Wüsten Berg seinen Traum von Lustschloss hingestellt, mit herrlichem Park und weitem Blick über die Stadt und die märkische Landschaft. Sanssouci – „Ohne Sorgen“ hatte der König sein Rokoko-Kleinod genannt. Das Schloss-Garten-Ensemble betrachtete der „roi philosophe“ als Manifest seines feinen Geschmacks: harmonisch, symmetrisch, goldig, glänzend. Und natürlich war es mit ägyptischem Obelisken, chinesischem Teehaus, großzügigen Kolonnaden wie in Versailles und unzähligen Skulpturen aus der antiken Mythologie auch ein unverkennbarer Beleg für die kultivierte Weltläufigkeit seiner Majestät. Keine Frage, der alte Fritz liebte Sanssouci, hier fühlte er sich wohl. Wenn da nicht die Kutschfahrten zum Stadtschloss oder weiter nach Berlin gewesen wären!
Der unschöne Anblick der schäbigen kleinbürgerlichen Behausungen entlang des Weges, selbst in unmittelbarer Nähe seines Potsdamer Stadtschlosses, nervte den Soldatenkönig. Einfach unwürdig, jetzt wo Preußen nach Ende des Siebenjährigen Krieges in der ersten Reihe der europäischen Großmächte angekommen war. Friedrichs Residenzstädte hatten repräsentativ auszusehen, mindestens ebenso elegant und imposant wie Wien, Paris, London oder St. Petersburg, die Hauptorte seiner Monarchen-Nachbarn.
Make-Up für Potsdam
Ausnahmsweise stand einmal kein neuer Waffengang an. Deshalb beschloss der oberste Preuße erst einmal seine wichtigsten Städte zu „embellieren“. In Potsdam stand mit der „Breiten Straße“ jener Boulevard im Fokus des königlichen Verschönerungsprogramms, der vom Stadtschloss Richtung Sanssouci führte. Der Preußenkönig, der posthum einmal den Beinamen „Der Große“ tragen sollte, besaß klare Vorstellungen darüber, wie es dort aussehen sollte. Seit langem hatte er Ideen und Pläne von berühmten Baumeistern aus ganz Europa gesammelt.
Mit seiner Pedanterie und Besserwisserei aber brachte Friedrich regelmäßig seine eigenen Architekten zur Verzweiflung. Auch jetzt, im Jahre 1768, lag der preußische Herrscher wieder einmal mit Carl von Gontard (1737-1791), seinem Hofbaumeister, über Kreuz. Kurzerhand rief Friedrich dessen Schüler und Assistenten Georg Christian Unger (1743-1799) zu sich. Der junge Architekt war dem König bereits während der Arbeiten am Neuen Palais positiv aufgefallen.
Italienische Designkunst für die Mark
Es ging um ein paar alte Bürgerhäuser an der „Breiten Straße“ Ecke Waisenstraße (heute Dortusstraße). Sie sollten teilweise niedergerissen und durch ein neues, repräsentatives Bauwerk ersetzt werden. Der König drückte Unger einen Bündel Zeichnungen in die Hand. Es waren Pläne, die der englische Baumeisters Iñigo Jones (1573-1652) einst für den Ausbau und die Modernisierung des Londoner Whitehall-Palace angefertigt hatte.
Jones´ Entwürfe für den Hauptpalast der englischen Könige orientierten sich stark an der Baukunst der italienischer Renaissance, insbesondere an den Arbeiten des berühmten Venezianers Andrea Palladio (1508-1580). Geldmangel und Bürgerkrieg aber hatten die Umsetzung fast vollständig verhindert, lediglich ein Banketthaus war errichtet worden. Das anderthalb Jahrhunderte alte Jones´sche Design sollte nun als Vorlage für das neue Gebäude dienen. Italian-Retro-Look sozusagen an der Breiten Straße.
Ungers Erstling
Georg Unger überlegte nicht lange. Er ergriff seine Chance und nahm Friedrichs Auftrag an. Bald konnte der junge Baumeister dem erwartungsvollen König seinen Entwurf präsentieren. Es war eine Symphonie der vollendeten Symmetrie, durchsetzt mit zahlreichen antiken Synkopen. Die Partitur bildete ein prachtvolles dreigliedriges Gebäude-Trio, rechts und links jeweils zwei (scheinbar) dreistöckige Bauten mit Walmdach, verbunden durch einen (scheinbar) zweistöckigen Mittelbau. Exakt platziert das Quartett der Eingangsportale, jeweils eines in der Mitte der beiden Randbauten und zwei an den beiden Rändern des Mittelbaus.
Ionische und korinthische Säulen umrahmten in gleichmäßigem Takt – „alla marcia“ sozusagen – die Fenster und Portale. Die „accentos“ setzten hoch über dem Straßenpflaster 21 überlebensgroße Statuen aus der griechischen Mythologie, weithin sichtbar krönten sie die Attiken. Einem Chor gleich flankierten acht weitere Skulpturen die Balkone auf den beiden Risaliten des Mittelbaus.
Friedrich II. war beeindruckt von Ungers Komposition. Nach außen ein kleiner Palast, hinter der glamourösen Fassade aber bürgerliche Häuser. So hatte er sich das vorgestellt. Mit dem „Bürgerpalais“ hatte der Architekt einen neuen Haustyp geschaffen, der ideal war für die „Meine-Residenzstädte-sollen-schöner-werden-Ambitionen“ seines Auftraggebers.
Die beiden Randbauten waren den Besitzern des Gebäudes vorbehalten, dem Kaufmann Johann Friedrich Hiller und dem Schneidermeister Johann Gebhardt Brandt. Wie jeder Hausbesitzer in der Garnisonstadt Potsdam waren auch diese beiden verpflichtet, eine bestimmte Anzahl an Soldaten einzuquartieren. Die sollten nun im eigens zu diesem Zweck konzipierten Mittelbau unterkommen.
Nicht unerwähnt bleiben sollte allerdings, dass der schöne Schein ein wenig trog. Denn zugunsten des majestätischen Erscheinungsbild nahm Unger Einschränkungen in der Nutzbarkeit des Gebäudes in Kauf. So sahen die Pläne mehr Etagen vor, als die Außenfassade zunächst vermuten ließ. Die beiden Häuser Hillers und Brandts hatten tatsächlich nicht drei, sondern vier bzw. sogar fünf Geschosse, während der Mittelbau nicht zwei-, sondern dreistöckig ausgelegt war. Das führte dazu, dass später in einigen Räumen die Bewohner im wahrsten Sinne des Wortes mit den Hühneraugen aus dem Fenster schauten – ein Problem, das man in vielen anderen privaten und öffentlichen Prachtbauten aus der Epoche Friedrichs des Großen antraf.
Potsdams Baumeister Nr. 1
Die Bauarbeiten begannen unverzüglich. Die Kosten waren immens: allein die Fassade verschlang die ungeheure Summe von 70.000 Talern. Den Löwenanteil übernahm Friedrich der Große, einen kleineren Teil steuerten Hiller und Brandt bei. Der fertige Komplex begeisterte König und Potsdamer gleichermaßen. Für Georg Christian Unger waren die Hiller-Brandtschen Häuser, wie sie schon bald nach ihren Besitzern genannt wurden, der Startschuss für eine märchenhafte Karriere. Er wurde mit Aufträgen förmlich überschüttet.Wie kaum ein anderer sollte Unger das Stadtbild Potsdams prägen. Zig Wohnhäuser und zahlreiche öffentliche Bauten, darunter das Brandenburger Tor, wurden nach seinen Plänen hier errichtet.
Ein Teil seiner Bauwerke ist bis heute erhalten. Die meisten Unger-Häuser sind mittlerweile aufwändig restauriert worden. So lässt sich noch immer das spüren und erfahren, was Christian Wendland in seinem Buch „Georg Christian Unger. Baumeister Friedrich des Großen in Potsdam und Berlin“ so eindrucksvoll beschreibt: Jenes Gefühl von Harmonie und Schönheit, das sich sofort einstellt, wenn man die von Unger gestalteten Straßenräume in Potsdam durchschreitet.
Und natürlich sind diese Emotionen auch da, wenn man direkt vor den Hiller-Brandtschen-Häusern steht: welch ein erhabener, welch ein schöner, welch ein imposanter Anblick!
Aktuelles Projekt: Wohnen in Ungers einzigartigem Meisterwerk
Umso erfreulicher, dass dieses herrliche Gebäude nach jahrelangem Hin und Her nun endlich einen Investor gefunden hat, der tatsächlich imstande ist, die dringend notwendige Sanierung des größtenteils leerstehenden Gebäudes durchzuführen. Attraktive Eigentumswohnungen mit bis zu 120 Quadratmetern Wohnfläche sollen in dem denkmalgeschützten Komplex entstehen. Das Leben wird also bald zurückkehren in Ungers Erstlings- und Meisterwerk.
Einen ausführlichen Beitrag zu diesem außergewöhnlichen Bauvorhaben habe ich jetzt unter der – wie ich finde – sehr passenden Überschrift „Potsdams prächtigster Palais“ gepostet.
Infos & Kontakt
Wer will, kann detailliertere Informationen (Preise, Grundrisse) zu dem Projekt Hiller-Brandtsche Häuser direkt über dieses Info-Formular anfordern.
Quellen:
Krüger, Karl Heinz: Preußens Arkadien an der Havel. Erschienen im Spiegel Spezial Nr. 2/1993
Hagemann, Alfred: Kannte Friedrich II. die Welt? Erschienenn in der MAZ vom 08./09.01.2011
Wendland, Christian: Georg Christian Unger. Baumeister Friedrich des Großen in Potsdam und Berlin. (2002)