„Komm, Kalineken, komm wir woll´n nach Pankow gehen, da ist es wunderschön!“
Grün und direkt vor den Toren der Preußen-Metropole gelegen, mauserte sich ein kleines Bauerndorf ab Mitte des 19. Jahrhunderts zum beliebten Ausflugsziel für gestresste Berliner. An den Wochenenden zog es Hauptstädter aller sozialen Schichten hinaus ins ländliche Pankow, um sich zu amüsieren und Kraft zu tanken fürs hektische Großstadtleben. Lokale und Biergärten wie der „Dorfkrug“, „Ringels Bellevue“ oder das „Gesellschaftshaus Rocycki“ buhlten um die Gunst der Erholungssuchenden. An sommerlichen Sonntagen zählte Pankow stets mehr Gäste als Einwohner. Das Geschäft mit den Ausflüglern brummte. Die öffentlichen Einnahmen sprudelten, so dass Pankow Ende des vorletzten Jahrhunderts gemessen am Steueraufkommen gar zu den wohlhabendsten Gemeinden im Berliner Umland gehörte. Das Geld wurde vor allem in eine moderne Infrastruktur investiert. So konnten die Pankower sich recht früh über helle Gaslaternen in den Straßen und eine fortschrittliche Wasserver- und -entsorgung freuen. Eine kluge Investition, denn die hohe Lebensqualität im Nordosten der Hauptstadt sprach sich schnell herum. Wer es sich leisten konnte, zog nun am liebsten gleich ganz in den aufstrebenden Vorort. In atemberaubender Geschwindigkeit wandelte sich der bescheidene Flecken während des Gründerzeit-Booms zum attraktiven Villenvorort für die Reichen und Schönen Berlins.
Entspannung und Gediegenheit pur, ein ganz besondere „Biosphäre“ also damals in Pankow. Optimale Voraussetzungen für das Erblühen einer ganz speziellen Branche, die – was nur wenige wissen – genau so prägend für das Pankow jener Zeit war wie die Ausflugslokale. Wie Pilze sprießten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Zentrum rund um den alten Dorfanger private Heilstätten und Sanatorien für Menschen aus den Boden, denen zwei Dinge gemein waren: betucht mussten sie sein und irgendwie „gemütskrank“.
Die Nervenklinik des Charité-Psychiaters Dr. Mendel in der Breiten Straße war eine der bekanntesten. Dort hospitierte sogar einmal ein gewisser Sigmund Freud. Dr. Richter, einst Mitarbeiter Mendels, eröffnete seine „Anstalt zur Aufnahme Geisteskranker“ ein paar Häuser weiter. In der Breiten Straße Nr. 32 war Dr. med. Gnaucks Kur- und Nervenheilanstalt angesiedelt, die sich auf weibliche Patienten spezialisierte. Dagegen gewährte Dr. Scholinus in seiner Klinik „Gemütskranken beiderlei Geschlechts mit Einschluss stärker verstimmter Neurastheniker und Hypochonder, ferner Morphinisten und Alkoholikern Aufnahme und sachgemäße Behandlung“. Die Mutter aller „Betty-Ford-Center“, jener legendären Entzugskliniken für Gutbetuchte und Prominente, könnte man sagen.
Billig war jedenfalls keine dieser privaten Sanatorien. Zimmer und Therapie in einem der Häuser konnte schon einmal die damals enorm hohe Summe von mehreren hundert Mark im Monat kosten. Das konnten sich nur die wirklich Gutsituierten leisten. In diesen Kreisen schien es damals aber genug Süchtige und Psychopathen zu geben: zeitweise wetteiferten bis zu sieben dieser „Irrenanstalten“ um die Gunst der Kranken bzw. der Familien, die ihre schwarzen Schafe zumindest zeitweise abschieben wollten. Offenbar war es ein so gutes Geschäft, das so mancher Investor daran teilhaben wollte. 1896 erwarb zum Beispiel die Deutsche Immobilien-Syndikat GmbH, eine Terraingesellschaft, die Gnauksche Anstalt mitsamt des zugehörigen riesigen Grundstücks. Insbesondere der hintere zur Mühlenstraße hin gelegenen rückwärtige Teil des Areals galt als Schmuckstück innerhalb des gesamten Ortes: hier lag unter den Kronen prächtiger alter Linden ein herrlicher Park.
Mitten hinein in dieses grüne Paradies beabsichtigte das Unternehmen zusammen mit einem Dr. med. A. Blitz eine neue Privatklinik zu errichten, die alle anderen in Punkto Heilmethoden, Luxus und Ambiente in den Schatten stellte. Das „Park-Sanatorium“ war vor allem für Patienten mit eher leichteren Erkrankungen – wie z.B. „Burn Out“ – oder Rekonvaleszenten konzipiert.
Den Bauherren war klar, dass das Park-Sanatorium sich nur dann erfolgreich entwickeln würde, wenn es den Geschmack der verwöhnten Patienten traf und ein gehöriges Maß an Stil und Komfort bot. Einer gelungenen Architektur des Sanatoriums kam daher besondere Bedeutung zu. Ein aufstrebendes Architekten-Duo erhielt den Auftrag für die Planung des Hauses: Friedrich Kristeller und Hugo Sonnenthal. Beide gelten heute als regelrechte Ikonen unter den Berliner Jugendstil-Baumeistern.
Kristellers und Sonnenthals Entwurf sah einen villen-, ja fast schlossartigen Baukörper vor. Türmchen und Erker, z.T. mit Holzschindeln verkleidet, prägten das äußere Erscheinungsbild. Die Fassade selbst war eher zurückhaltend gestaltet: klare feine Linien statt opulenter Ornamentik, die den Straßen zugewandten Seiten durch Risalite und schmale Gesimse strukturiert, wenn auch nicht symmetrisch. Aufwändigere Stuckverzierungen waren nur am Hauptportal an der Nordfassade vorgesehen. Mit variierenden Fensterformen, setzten die Architekten gezielt Akzente, vermittelten eine gewisse Leichtigkeit und Bewegung. Großzügig, elegant und nobel zeigte sich das Gebäudeinnere. Es besticht in allen Stockwerken durch weite, helle Räume mit Deckenhöhe von z.T. über vier Metern. Kunstvoller Stuck an den Decken, Wandpannele aus edlem Holz, wertvolle Tapeten und modernste Installationen schafften ein wohnlich-luxuriöses Ambiente.
Mit Wassergüssen, Gymnastik, Massage, Elektrotherapien und spezieller Ernährung sollte dort den Patienten geholfen werden. Highlight war sicherlich das eigene Badehaus, denn so etwas bot keine andere Heilanstalt. Das ein- bzw. anderthalbstöckige Gebäude erstreckte sich entlang der Ostflanke des Grundstücks vom Haupthaus hinein in den umgebenden Park. Dort luden dann Terrassen, Spazierwege und Ruheinseln zum Entspannen und Erholen ein.
Schnelles Ende trotz bestem Ruf
Die Bauarbeiten begannen 1899. Bereits im folgenden Jahr öffnete das „Park-Sanatorium“ erstmals seine Pforten. Schon recht bald genoss das Haus einen hervorragendes Renommee und konnte sich über eine beachtliche Zahl an Patienten freuen. Besonders beliebt war die Klinik bei russischen Zeitgenossen. Die begüterte, zumeist adlige Klientel aus dem Zarenreich erholte sich in Pankow – glaubt man den Anekdoten – vor allem von den Folgen eines nationalen Lasters: dem exzessiven Wodka-Trinken.
Siechtum und Verfall
Auch während der vier Jahrzehnte dauernden Episode des ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden wechselten die Nutzer: zunächst Dienststelle der Volkspolizei, wurde die Villa später Sitz des der Bezirksverwaltung angegliederten VEB Baureparaturen Pankow. Kurioserweise hielten ausgerechnet die kommunalen Bauspezies offenbar nicht viel von Erhalt und Pflege der ihnen anvertrauten herrschaftlichen Bausubstanz – ob aus ideologischen Gründen, dem Mangel an Material oder schlichter Unfähigkeit sei dahingestellt. Der Betrieb hat die Wende jedenfalls nur kurzzeitig überlebt.
So verwundert es wenig, dass die öffentliche Hand die erste sich bietende Gelegenheit nutzte, um sich der drückenden Verpflichtungen zu entledigen. Sie kam mit der Berliner Bezirksreform. Pankow fusionierte mit den Nachbarbezirken Prenzlauer Berg und Weißensee. Das gemeinsame Sozialamt siedelte sich in der Fröbelstraße an, die Räume im einstigen „Park-Sanatorium“ waren überflüssig geworden und wurden 2004 aufgegeben. Wenig später übertrug der Bezirk das Gebäude an den Berliner Liegenschaftsfonds.
Wiederauferstehung: Wohnen in der Villa am Park
Nach einem öffentlichen Bieterverfahren hat der Liegenschaftsfonds die Villa mittlerweile an einen Bauträger verkauft. Das Unternehmen ist auf die Sanierung denkmalgeschützter Immobilien spezialisiert.
Infos zum Bauprojekt
Wer detaillierte Informationen (Grundrisse, Kaufpreise etc.) über das Wohnungsbauprojekt im ehemaligen Park-Sanatorium in Pankow erhalten möchte, kann diese direkt über dieses Kontaktformular anfordern.
Quellen (Auszug):
Gießmann, Carl und Otto Jacobi: Große Stadt aus kleinen Steinen. Ein Beitrag zur Geschichte des 19. Berliner Verwaltungsbezirkes (Pankow), Berlin 1936
Hartmut Seefeld: Zur Kur in Pankow. Erschienen in „Vor Ort – Stadterneuerung in Prenzlauer Berg, Weißensee und Pankow“, Ausgabe Oktober 2007